Wörter, schreiben

Mit Wörtern Bilder stiften

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… in den Köpfen und Herzen der Leser

Schreiben ist Kunst und Können. Das merke ich, wenn ich mit Wörtern und Sätzen eine Brücke zum Leser baue. Ich weiß nicht, welche Bilder er oder sie aus meinen Geschichten kreiert. Ich kenne nur meine Bilder. Deshalb ringe ich um jedes Wort, das ich nicht mit Füllwörtern verwässern will. Ein Wort, ein Bild. Eine Geschichte, ein Film.

Die Beispiele in diesem Text habe ich zur Veranschaulichung geschrieben. Sie stammen nicht aus meinen Romanen.

Schnell schreibt sich der Satz in die Maske: „Dieser äußerst brutale Mord schockiert die abgebrühten Kommissare.“ Ein schlechter Satz. Er stellt nicht klar, sondern dramatisiert diffus.

Besser: „Der Anblick des Opfers verschlägt Kommissar Lidot und den beiden Kolleginnen die Sprache. Stumm inspizieren sie die Messerstiche, verteilt über den nackten Körper. Das Hakenkreuz über der linken Brust der Toten ist rot von Blut. Nicht auszudenken, wer das getan hat. Ein Unmensch. „Arschgesicht“, murmelt Steffi. “Ich ruf‘ die Kollegen von der Spurensicherung“, vermeldet Tanja und pest zum Wagen mit dem Funk. Lidot wischt sich über die Augen und wendet sich den Kleidern zu, die neben der Leiche liegen. Die Routine beginnt.“

  1. Ein Mord ist brutal. Das mit dem Adjektiv zu betonen, ist albern. Besser ist es, ich erzähle, was an d i e s e m Mord neu ist, was er bei den Polizisten auslöst. Weil wir es auf diese Weise nachvollziehen können.
  2. Kommissare sind geschult und verfügen über Erfahrung mit Tötungsdelikten. Sonst wären sie nicht zur Ermittlung eines Mordes eingesetzt worden. Das Adjektiv „abgebrüht“ ist abgenutzt und falsch. Weil man sich an Mord nicht gewöhnt. Auch nicht als Mordkommissar. Jedes Opfer von Gewalt ruft Mitgefühl und Jagdfieber auf den Plan.

Schwache Adjektiv-Substantiv-Konstruktionen suche ich beim Korrekturlesen. Ich ersetze sie durch starke Substantive. Oft streiche ich die Wörter und zeige, was geschieht. Wie die Menschen reagieren.

Dieser Satz ist banal: „Schnell rennt Kommissarin Klein zum Wagen, um die Tatortspezialisten und die Forensik genau zu instruieren, wohin sie sofort kommen sollen.“

Besser: „Steffi Klein sprintet zum Wagen und ruft die Tatortspezialisten sowie die Forensik per Funk an den Fundort: „Bitte beeilt euch! Die ersten Schaulustigen rücken an. Wir wollen hier weg, bevor die Presse aufkreuzt.“

Überflüssig sind die drei Adverbien „schnell, genau und sofort“. Wer rennt, ist schnell unterwegs. Wer andere instruiert, teilt mit, worum es geht. Zur Berufspflicht der Spezialisten gehört, dass sie den Fundort der Leiche aufsuchen, so schnell es geht.

Möchte ich Eile im Roman betonen, ist ein Dialog die bessere Wahl. Denn Dialoge zeigen den Lesern, worum es geht. Dialoge sind ein Tausendsassa. Dazu im nächsten Artikel mehr.

Adjektive und Adverbien sind überflüssig, sobald ich das passende Substantiv oder Verb einsetze. Sprinten macht das Adverb schnell überflüssig. „Beeilt euch“ beinhaltet Dringlichkeit. Wohin sie sofort kommen sollen, wirkt distanziert. Das Verb ist schwach. Schwachen Verben helfen Adverbien nicht auf die Beine. Finde ein Verb, das ausdrückt, was du sagen willst. Ein Verb, in dem die Emotion mitschwingt.


Manchmal lese ich: „Zum guten Stil gehören kurze Sätze.“ Oder: „Lange, verschachtelte Sätze sind ganz schlechter Stil.“ Beides ist Unsinn.

Denn es kommt darauf an, was der Text ausdrücken soll. Schreibe ich eine Gewaltszene, wähle ich knappe Sätze und vermeide Adverbien. Lediglich zeige ich, wie Menschen darauf reagieren, wie sie handeln oder nicht. Wie sie erstarren, flüchten oder wüten. Wie sie sich fangen. Wie sie auf Distanz gehen. Wie das Tagesgeschäft den Gefühlen den Rang abläuft. Gewalt spricht für sich. Dramatisierung tötet ihre Last.

Soll ein Abschnitt Tempo vermitteln, kann ein langer Satz nützen, mit kurzen Teilsätzen zwischen den Kommata.

„Sie sieht die Faust mit dem Schlagring, schaut auf, ein Männergesicht grinst sie an, die Faust holt aus, sie erstarrt, kann sich nicht bewegen, die Beine entscheiden, rasen los und nehmen sie mit durch die sich schließende Tür der U-Bahn, bringen sie zum freien Sitz gegenüber der Tür, geben nach, zitternd senkt „es“ sie auf den Sitz, die Augen irren durchs Fenster über den Bahnsteig, der Mann ist nicht da.“

Annefried Hahn

Lange Sätze vermögen es, ein komplexes Geschehen zu vermitteln. Das gilt auch für einen Text, der die Seele streichelt. Zum Beispiel das Erleben einer Wiese im Sommer.

„Während der Wind die Gräser wiegt, die Blüten streichelt, summen Insekten, große, kleine, bunt schillernde, Bienen, die blauen, ach ja, Libellen, Nektar liegt in der Luft und mischt sich mit dem Parfum der Blumen, der Schmetterling, ein gelber, setzt sich auf seinen Arm, flattert mit den Flügeln, hebt wieder ab, er atmet tief, Tränen in den Augen, wie konnte er das nur vergessen.“

Annefried Hahn