Veränderung

Bist du das noch? Nee, ich fühl‘ mich nicht wie ich an.

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Recherche verändert einen. Wenn man genau hinsieht, hinhört und hinfühlt. Meine Reise nach Helgoland schrieb mir das buchstäblich auf den Leib. Das zu wissen, reicht nicht. Den Spruch: „Alles verändert sich ständig“, kannst du vergessen. Man muss die Veränderung erleben, sie schmecken, sich mit ihr auseinandersetzen. Und ausspucken, was (einem) nicht passt.

Lässt du dich auf Entdeckungen ein? Erlaubst du dir unangenehme Gefühle oder schickst du sie zum Teufel? „Ihh, wie befremdlich, das ist nicht meins!“ In der Recherche für meinen Roman fühle ich mich öfters befremdet. Ich werde mir selbst fremd. Weil ich genau hinschaue, hinhöre, hinfühle. Klar, sonst macht Recherchieren keinen Sinn.

Warum ist das wichtig?

Um sich wohlzufühlen, blenden die meisten Menschen aus, was ihnen Angst macht, was sie als hässlich empfinden, was ihr Weltbild stört. Das ist normal. Es dient der Psychohygiene. Du fühlst dich ganz als du, so, wie du es magst. Das mache ich auch so. Kriegsnachrichten? Miese Prognosen? Weg damit.

In der Recherche gewinnt man allerdings keinen Blumentopf damit. Man braucht die andere Seite des Lebens. Widersprüche, Streit, Veränderungen erzeugen Spannung. Gerade in Regionalromanen wird die Veränderung der Orte als Zutat zum Gewohnten zentral. Denn das macht etwas mit den Bewohnern. Ein Beispiel:

  • Wenn Politiker den Bürgern ein erfreuliches Vorhaben nicht vermitteln, nehmen diese beim ersten Spatenstich das Schlimmste an. Meistens, wie hier in der Stadt kürzlich. Denn in den Parks wurden Bäume gefällt, viele Bäume. Die Aufregung schaffte es in den Regionalzeitung. Bis die Erklärung kam: Es werden „Klimabäume“ gepflanzt. Solche, die Wetterturbulenzen aushalten und kühlend auf die Umgebung wirken.

Ihr kennt das vielleicht. Nach einer Reise fühlt sich das Zuhause wie fremd an. Mir und meinem Mann ging es so, als wir von Helgoland zurückkamen. Schon beim Ausstieg aus dem Zug sträubte sich mein Atem. Kaum merklich, aber doch. Die Luft in Bremerhaven wird viel gelobt. Bisher fand ich sie meistens schön frisch. Das ist vorbei. Die Helgoländer Luft besitzt eine Klarheit, wie sie in die Lunge fließt, federleicht. Ich sehne mich danach.

Das Haus, die Wohnung. Es roch fremd. War das unsere Wohnung? Vielleicht sollten wir das eine oder andere Möbelstück entfernen? FAZIT: Ich habe mich verändert. In den paar Tagen?

Die Fahrt mit dem Schiff gestaltete sich vergnüglich. Auf offener See endlich Wellengang. Das Schiff wiegte uns auf und ab. So muss es sein, man soll merken, dass man auf dem Meer ist. Dazu dieses komfortable Schiff, eine positive Veränderung gegenüber meinen letzten Reisen auf die Insel, Anfang der 1980er Jahre. Es befand sich ein separater Raum mit Spuckbecken auf Deck 2. Dort hinunter fuhr ein Fahrstuhl.

Als wir gelandet waren und die Gangway hinunterliefen, schien die Sonne warm. Der Liegeplatz der MS Helgoland befindet sich im letzten Hafen im Süden. In der ungewohnt sommerlichen Temperatur stand uns ein langer Fußmarsch mit Rollkoffern bevor. Verschwitzt, genervt und müde kamen wir im Hotel an. Und trafen auf unerwartet herzliche Gastgeber.

Da ich Geburtstag hatte, reservierten wir vor der Reise einen Tisch im bestbewerteten Restaurant der Insel. Es liegt direkt gegenüber dem Hotel. Ich freute mich auf diesen Abend, denn die Karte verhieß Leckeres. Die Erfahrung entlarvte dieses Versprechen leider als falsch. Ich will das nicht vertiefen. Nur so viel: Der Koch übte noch, und das ziemlich unbegabt. Die erste Enttäuschung.

Ohne einen Gedanken an das, was ich tat, suchte ich unentwegt nach Anschluss an meine Erinnerungen. Das Café, in dem ich nach dem Abitur die Kosten für mein erstes Semester verdiente, existierte nicht mehr. An der Stelle lud eine begrünte Fläche zum Verweilen in Strandkörben ein. Das ist schön. Dennoch wurden meine Augen feucht.

Die Insel präsentiert heute jede Menge Hotels, Apartmentanlagen, Geschäfte und Restaurants, Cafés und Snackbars. Alles für die Touristen? Das gefiel mir ganz und gar nicht. „Das Geld muss irgendwo herkommen“, erzählte mir jemand. Aber so? Ein Helgolandkenner klärte mich auf. Er war zum 70. Mal dort, regelmäßig seit mehr als 40 Jahren. Seiner Kenntnis nach können die Insulaner von der kurzen Saison kaum leben. Er beobachtet seit Jahren, wie die meisten Inhaber schnell wieder aufgeben. In der Tat wirkten viele Hotels und Apartmenthäuser verlassen. Vorsaison, Anfang April. Traurig das.

Die Kleingärten und Wildblumenflächen auf dem Oberland dagegen betörten mich. Am liebsten wäre ich für immer dortgeblieben. Überall stehen Bänke. Von solchem Ausguck in der Morgensonne übers Meer zu sehen, ist wundervoll. Träumerisch. Auch an der ausgedehnten Promenade im Unterland lässt der Blick aufs Meer und auf die Häfen nichts zu wünschen übrig. Weite nistet sich in einem ein.

Veränderung auf Helgoland
Bildnachweis: mit Canva erstellt

Ich kenne keinen anderen Ort, der derart widersprüchliche Empfindungen von Enttäuschung und Ärger über Zuneigung und Sehnsucht in mir auslöst.

Eine Episode im zweiten Krimi findet auf Helgoland statt. Denn ein Mordopfer wird dort gefunden. Inmitten von Wildblumen? Oder im Kleingarten? Oder auf der Baustelle des Bluehauses?* Egal, was ich wähle, es verändert die Geschichte jeweils anders.

Kommissar Jean Lidot ermittelt mit Kollegen aus Schleswig-Holstein und der Inselpolizei. Zufällig trifft er Chili, die mit Mia anreist. Für ein paar Tage Abstand vom schrecklichen Überfall auf Julia, ihrer Schwägerin. Urlaub auch von der Drohung gegen ihre Familie. Wie reagiert Lidot? Immerhin hatte er dringend empfohlen, zuhause zu bleiben. Jetzt scheint es so, dass der Täter des Angriffs auf Julia derselbe ist, wie der Mörder der Wissenschaftlerin auf Helgoland. Dieselbe Botschaft „Halte dich fern. Sonst geht es dir und deinen Lieben schlecht.“ Diesmal mit dem Bild eines Messers unterzeichnet.

Egal, wo man die Leiche fand, dieses Treffen verändert die Geschichte wiederum. Denn Lidot, Chili und Mia wohnen in demselben Hotel, im DAS-Hotel.* Ein kleines, liebevoll familiär geführtes Haus. Ein Ort, an dem Mord nicht vorkommt. Sondern Sehnsucht und Liebe. Und Matjes zum Frühstück.

Weil die Eindrücke, Gespräche mit Inselbewohnern und -besuchern mir ein komplexes Bild zeigen. Für mich wird eine Wirklichkeit ganz, wenn sie das Spektrum der Gegensätze erfasst. Mein subjektives Erleben gehört dazu.

Wahrnehmen, zuhören, fragen – die innere Konfrontation mit dem, was ist. Das muss man gelernt haben und ertragen können. Gelernt habe ich das natürlich. Ertragen? Ich jammere dann gerne mal. Und lasse mich von meinem Mann trösten. Schrecklich, diese Masse an Hotelfassaden und Konsumtempeln.

Auf keinen Fall darf ich meine Enttäuschung beispielsweise einer jungen Figur andichten, die gar nicht wie ich empfinden kann. Die Entwicklung der Personen im Krimi muss ich mit den Ergebnissen der Recherche verbinden, je nach deren Persönlichkeit. Tja, und das geht über das Medium des Dialogs. Wie im wirklichen Leben. Hatte ich darüber schon geschrieben? Nicht? Na, dann im nächsten Beitrag.

* „Der Baubeginn für Helgolands neue Attraktion steht kurz bevor: Bald starten die ersten Arbeiten an dem BLUEHOUSE HELGOLAND. In Zukunft sollen Besucherinnen und Besucher dann eine einzigartige Ausstellung erleben können, die von der Geschichte der Nordsee bis zur Zukunft der Meeresforschung reicht.“ https://www.awi.de/ueber-uns/standorte/helgoland/bluehouse.html

* Das DAS-Hotel ist kein reales Haus. Es handelt sich um einen Fantasieort.