Erzählen

Erzähle das, was dir am Herzen liegt

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Krimis schreibe ich nicht, weil mir langweilig ist. Ich verfolge mein Anliegen damit: Wie geht wer mit Gewalt um? Abwehr. Mitgefühl. Nicht drüber nachdenken. Tratschen. Ich erzähle darüber. In unterhaltsamer Weise. Emotionen führen. Denn sachlich, das geht gar nicht. Die Ereignisse triggern einen.

Es liegt am Leser, ob ich ihn oder sie erreiche. Daran, ob Krimi-Liebhaberinnen im Buchladen oder Bücher-Onlineshop auf die Chili-Bände zugreifen. Ich schreibe, was mich interessiert. Über die Klimakrise und Maßnahmen vor Ort. Über Mord, Sehnsucht und Hass, Liebe und Gewalt, Freundschaft und Gier. Denn Gefühle sind das Brot dieser Zeit.

Ich gehe gerne in Buchhandlungen, um zu stöbern. Meist steuere ich die Bücher auf Tischen an. Die im Blickfeld potenzieller Kunden locken, (wie mein Erstling „Chili sieht rot“ bei Thalia im Columbus Center Bremerhaven). Bücher sind zum Anfassen. Daher halte ich mich dort lange auf. Ich setze mich und lese hinein. Bis ich finde, was mir gefällt.

An eine Zielgruppe denke ich nicht, wenn ich schreibe. Ich erzähle die Geschichte. Lasse die Leser die Geschichte miterleben. Langatmige Beschreibungen mag ich nicht. Ich vermute, dass andere sie ebenso überspringen wie ich.

Ich schreibe für keine Zielgruppe. Ich vermittle mein Anliegen. Im Kriminalroman rufe ich es ins Leben.

Mord ist eine Realität. Man muss damit klarkommen. Das zeige ich in unterhaltsamer Weise.

Über Gefühle spricht kaum jemand. Eine beliebige Pressestelle der Polizei:

„Es wird in alle Richtungen ermittelt.“

„Derzeit können wir nichts über die Hintergründe sagen. Die Untersuchung des Tatortes läuft noch.“

Distanzierte Aussagen.

„Den Ball niedrig halten.“

Angst vor Eskalation.

„Der Mensch ist im Grunde gut.“ Einige sind das nicht.

„Mich betrifft das nicht. Ist in meiner Familie noch nie vorgekommen. Auch nicht in der Nähe.“

„Bei uns auf dem Land ist es ruhig. Die meisten sind anständige Menschen.“

„Man muss was dagegen tun. Die armen Eltern! Ich will das nicht hinnehmen.“

„Die Familie trägt mit.“

„Ist vielleicht unnatürlich, aber wenn sie tot sind, bin ich froh, dass das Baby nicht mehr leidet.“ Mitgefühl ist oft kaum erträglich.

„Wir bleiben dran, bis wir ihn haben! Wir halten zusammen.“

Der Mensch ist gut? Nein, niemand ist gut. Du kannst dich dafür entscheiden. Dich für die Gesellschaft öffnen. Du brauchst keine Gleichgesinnten, um zu erfahren, wer du bist. Nicht solche, die sich und dich über andere stellen. Wer glaubt er, wer er ist, dass er über Leben und Tod entscheidet? Der Mörder.

Kann man leben, indem man ignoriert, was passiert? Betrifft das Grauen nur die da draußen? Ja, das lässt sich deichseln. Ich finde: Nein, es ist unsere Pflicht hinzuschauen. Darüber müssen wir reden. Damit wir uns nicht daran gewöhnen und jedem misstrauen. Oder den Falschen vertrauen, weil sie auf dieselbe Party gehen. Wir sind frei.

Mord ist ein komplexer Prozess. Bis es zur Tat kommt, vergeht Zeit. Nicht nur Täter und Opfer, weitere Menschen sind involviert. Wer kennt seine Nachbarn?

„Er war immer so ein netter, zurückhaltender junger Mann. Ich kann nicht glauben, dass er das getan hat.“

„Wie oft haben sie ihn getroffen? Was hat er Ihnen erzählt? Erhielt er oft Besuch?“

„Man sah sich im Treppenhaus. Er war immer höflich und nahm mir die schwere Einkaufstasche ab. So ein Netter. Ob er Besuch bekam, weiß ich nicht, man schnüffelt ja nicht hinter den Nachbarn her.“

„Ich habe meiner Tochter untersagt, sich mit ihm abzugeben. Nicht, weil er Drogen nahm. Er passte nicht zu uns. Ich bin Beamter und halte auf Anstand. Er fuhr Motorrad und war tätowiert. Meine Töchter werden einmal einen Mann heiraten, der was hermacht.“

„Er kam mir immer ein bisschen merkwürdig vor, zu zurückhaltend. Ich bin Christ und halte es mit dem Grundsatz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Da bin ich konsequent, auch wenn er es mir nicht dankte. Furchtbar, was er der alten Dame antat. Ich bete für beide.“

Gespräche mit Nachbarn. Man grüßt sich und tratscht über den Müll, die Politik, das Wetter.

„Moin, Frau Müller, ich geh schnell zum Discounter, Schnitzel holen. Aus dem Angebot.“

„Keine Zeit! Muss den Zug kriegen. Hoffentlich ist er diesmal pünktlich. Tschüs!“

„Strom wird wieder teurer. Wo soll das hinführen? Haben Sie meinen Kater gesehen? Den Tiger, er ist mir gestern Abend entwischt. Hoffentlich nicht zur rolligen Iris von der Maierschen. Was für ein Name für eine Katze! Schönen Tag noch, ich muss weiter. Tschühüs.“

Nach einem Mord wächst das Bedürfnis, sich zu entlasten.

„Der das getan hat, kam mir gleich merkwürdig vor. Der hatte so’n komischen Gang. Finden Sie auch, ne?“

„Ein Unding, wie die Eltern dem Mädel so viel Freiheit lassen konnten. Sie war doch höchsten 15. Meinen Sie nicht auch?“

„Er soll ja oft die Schule geschwänzt haben. Hat keiner drauf geachtet? Was ist mit den Lehrern? Naja, die sind heute auch nicht mehr, was sie mal waren. Früher kam man nicht damit durch.“

„Sie war zickig, dass muss mal gesagt werden. Kein Wunder, dass ihm der Geduldsfaden riss.“

„Man lässt den Mann nicht allein vor dem Fernseher sitzen, während man sich auf Partys amüsiert. Meine Meinung.“

„Dieser angebliche Handwerker! Ich hab gleich gesehen, dass der nicht echt war. Warum macht sie ihm auch die Tür auf!?“

Sollte es aber. Nichts hilft, solange du dein Mitgefühl mit dem Opfer, die Angst um deine Lieben und die Wut auf den Täter mit dir abmachst. Miteinander über deinen Schock zu reden, ist Balsam. Sich mit Vertrauten austauschen, das entlastet. Wer hat das gelernt? Nicht im Unterricht.

Über eigene Gefühle zu reden, ist nicht in der Schule vorgesehen. Blinder Fleck. Zuhören. Wer bringt die Empathie auf? Wer nimmt ein traumatisiertes Kind in den Arm? Dazu gehört Geduld. Der Dialog widerspricht dem Hype um Schnelligkeit.

Den Umgang mit der Gewalt habe ich in einem Landeskriminalamt erforscht. Ich bin zwei Jahre lang mit den Kommissaren mitgegangen. Misshandlung, Kinderpornografie, Mord. Ich hatte mit mir zu kämpfen. Mitleid mit den Opfern. Schock angesichts von Grausamkeit. Ich lernte das Jagdfieber am eigenen Leib kennen, als „wir“ einen Serientäter (Mord) suchten. Von den Kriminalkommissaren habe ich viel gelernt. Wer mag, kann dieses wissenschaftliche Abenteuer nachlesen:

https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/10056