Angriff

Ein Angriff wie aus dem Nichts

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Hatte Chilis Mann doch recht, als er Angriffe auf Chili fürchtete?

Gewalt ist tabu. Doch sie existiert. Sie zeigt sich immer wieder aufs Neue. So macht sie sich bemerkbar: als Angriff mithilfe verächtlicher Sprache, mit Fäusten, Tritten, Messern und anderen Waffen. Erst kürzlich bin ich ihr hier im Internet begegnet. Sie kam verkleidet in Hass und demütigender Sprache – zum Glück. Denn ich trug keine ernsthaften Verletzungen davon.

Anders Chili. Für sie war stets klar, dass Brutalität irgendwo stattfand, vereinzelt und nicht dort, wo sie lebte. Für die schlimmen Fälle war die Polizei zuständig, nicht sie. In Bremerhaven passierte ohnehin nicht viel. Wenn doch, war sie als Polizeireporterin lediglich Zaungast. Niemals würde sie persönlich betroffen sein. Sie schrieb bloß darüber. Dachte sie, bis es passierte.

Der Angriff und die Folgen

Text aus Chili sieht rot (Gefahr durch den Job?)

„Himmel, jetzt ist aber Feierabend,“ murmelte Chili vor sich hin, räumte ihr Smartphone in die Tasche, zog den Mantel an, schloss ihren Spind ab und verließ das Büro, das sie ebenfalls gewissenhaft verschloss. Schnell lief sie zur Damentoilette, richtete Ihr Haar und zog die Lippen mit ihrem Lippenstift in Flamingo nach. Dann ging sie, zufrieden mit sich, nach unten. Heiter gestimmt trat sie durch die große Eingangstür auf den Treppenabsatz hinaus. Chili fühlte sich erleichtert und stolz auf das, was sie heute erarbeitet hatte. Ein Lächeln umspielte ihren Mund.

Urplötzlich, ohne Vorwarnung, knallte sie mit dem Kopf rückwärts gegen die Tür und fand sich benommen auf dem Waschbeton halb sitzend, halb liegend wieder. Verwirrt schaute sie hoch und sah zehn Zentimeter vor ihrem Gesicht in ein anderes, ein bärtig behaartes. Beängstigender als der ungepflegte Bart muteten die hasserfüllten Augen sie an. Chili zuckte zurück, und ihr Kopf schien unter dem Faustschlag zu explodieren. Ein Schlag, der sie mit dem Hinterkopf noch einmal, noch härter, gegen die Tür stieß. Jetzt sah sie, dass dieser Mann sie anbrüllte. Taub und verständnislos glotzte sie auf seinen Mund.

„Hör gefälligst auf, über das Arschloch zu schreiben, du Miststück! Falls nicht, werde ich dir zeigen, wo der Hammer hängt!“
Damit drehte sich dieser Unmensch um und entschwand in die Dunkelheit. Chili stöhnte.
(…)

“Was wollte er von dir? Geld? War er high? “
Jan stand vor ihrer Liege in der Notaufnahme. Chili blitzte ihn defensiv an.
„Woher soll ich das wissen?! Im Übrigen komme ich allein klar.“
„Mensch Chili! Ich mach mir doch Sorgen. Jeden Tag, den du mit diesem Job, in akuter Gefahr verbringst. Ich will dir helfen, ich bin doch dein Mann!“
„Ach, du erinnerst dich? Stimmt, wir sind verheiratet. Fühlt sich bloß nicht mehr so an.“
„Sag mir einfach, wie ich dir helfen kann, und es ist gut.“

Chili presste die Lippen zusammen, ging zögerlich in sich und überlegte, woher diese heftige Wut kam, die sie plötzlich befallen hatte. Klar, sie war sauer auf Jan. Aber er wollte ihr ehrlich helfen. Das glaubte sie ihm. Eigentlich sollte sie Hass auf den Angreifer fühlen. Seinetwegen war sie hier und musste darauf warten, dass man sie behandelte. Sie beschloss, sich zusammenzureißen.

„Okay Jan, du kannst mich, wenn ich hier fertig bin, mit nach Hause nehmen.“
„Klar, mach ich. Ich warte draußen auf dich.“ Jan verließ Chili. Sie döste ein und wurde erst wach, als die Liege bewegt wurde.
„Wir bringen Sie jetzt zur Computertomografie. Danach werden Ihre Wunden versorgt, die am Kopf und der Riss über der rechten Augenbraue. Halt! Nicht hinfassen.“

Chili hatte automatisch ihre rechte Hand an die Augenbraue geführt. Sie erinnerte sich nicht an einen Riss. Nach der CT fuhr eine Krankenschwester sie in den Fahrstuhl und hinauf in den ersten Stock. Dort angekommen, teilte sie ihr mit, dass sie im Flur warten müsste, bis eine Kollegin sie zum Nähen und zur Versorgung der Kopfwunde bringen würde.

„Sobald das Ergebnis der CT da ist.“
Kurze Zeit später war es so weit. Sie bekam eine lokale Betäubung am Riss über dem Auge und am Hinterkopf. Die Ärztin erklärte ihr, dass man kaum Narben würde sehen können.
„Heutzutage haben wir zum Glück Möglichkeiten, die Folgen solcher Verletzungen klein zu halten. Ihre CT ist übrigens negativ. Ihr Kopf ist bis auf die äußerliche Wunde in Ordnung. Keine Einblutung, kein Bruch im Schädel. Nicht mal eine Gehirnerschütterung. Bloß ein kleiner Riss in der Kopfhaut. Glück gehabt!“

„Dann kann ich also gleich nach Hause gehen und muss nicht das Bett hüten?“
„Naja, ausruhen sollten Sie sich schon. Sie haben einen Schock erlitten. Bleiben Sie morgen zu Hause und lassen Sie sich verwöhnen. Ihr Mann wartet draußen auf Sie, so ein Netter. Er ist ganz besorgt, hat uns gelöchert, wie er Ihnen helfen kann.“

Chili rümpfte die Nase. Nett. Ja, das war er. Und sonst? Man würde sehen. Erstmal nach Hause.
„So, fertig. Sie werden wieder wie neu. Sobald das Veilchen verschwunden ist, natürlich. So in zwei Wochen etwa. Bis das Haar am Hinterkopf nachwächst, dauert es wohl länger; wir mussten die Stelle leider rasieren. Sie dürfen jetzt aufstehen und gehen. Alles Gute!“

Auf dem Flur wartete nicht nur Jan, sondern es standen auch ein Polizist und eine Polizistin neben ihm.
„Moin, Frau Keller. So sieht man sich wieder!“
Zuerst erkannte Chili ihn nicht. Doch dann sagte ihr seine Stimme, wer er war. Martin Lang, ihr letzter Coachingkunde in Uniform. Was wollte er denn hier?
„Ich denke, es ist in Ordnung, wenn ich Ihre Aussage aufnehme? Das Coaching ist ja abgeschlossen. Die Kollegin Frau Schlüter ist mitgekommen. Befragungen führen wir immer zu zweit durch. Kommen Sie mit, wir fahren nach unten. Dort gibt es einen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können.“
Nicht das jetzt auch noch!


Lebensgefährliche Angriffe können uns alle treffen – oder?

Eine Attacke kommt meistens überraschend. Man möchte einfach nicht dran denken. Denn, wen sie auch trifft, er oder sie trägt schließlich schon genug an seinem ‚Päckchen‘, gefüllt mit Angst, Wut, Neid, Verachtung. Kurz, niemand braucht einen Überfall, um Probleme zu bekommen. Man hat längst welche. So auch Chili.

Gerade erst hatte sie ihren Traumjob als Coach aufgegeben. Verschmerzt war dieser Verlust noch nicht. Mit dem neuen Job als Polizeireporterin war ihr Mann Jan nicht einverstanden. Er ließ sich unschöne Tricks einfallen, um sie davon abzubringen. Nun ist Chili nicht blöde; sie durchschaute seine Spielchen und reagierte gekränkt und verärgert. Dass sie in Lebensgefahr schweben würde, wie Jan es befürchtete, glaubte sie nicht.

In diese komplexen Probleme hinein schlägt der Angreifer Chili. Sie kennt ihn nicht, er rotzt ihr einen Befehl rüber, sie versteht nicht, was das soll. Jeder Außenstehende würde meinen, sie wäre auf Hilfe angewiesen. In ihrem Schock erkennt sie sich selbst jedoch nicht als hilfsbedürftig. Stattdessen bagatellisiert sie ihre Verletzung. Und die Tatsache, dass sie ohne den neuen Job nicht in Gefahr geraten wäre.

Ist dies Schwäche? Oder handelt Chili aus innerer Stärke heraus?